
Je öfter die Zigarette unser erster und wichtigster Tröster war, desto tiefer ist die Gewohnheit verankert, das Bedürfnis nach Trost so und nicht anders zu befriedigen. Jede Wiederholung stärkt die Sucht, während alternative Möglichkeiten in unseren Gehirnstrukturen und Gewohnheiten mangels Nutzung verkümmern.
Auf dieser Seite finden Sie eine Methode, um diese Entwicklung umzukehren, eingeteilt in folgende Abschnitte:
- Verantwortung übernehmen für Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart
- Selbstheilung durch Schreiben
- Aufarbeiten, planen und Gewohnheiten bilden
- Sich selbst ein guter Freund sein
- Verantwortung übernehmen für die Vergangenheit: Therapeutisches Schreiben
- Verantwortung übernehmen für die Zukunft: Ziele setzen
- Verantwortung übernehmen für die Gegenwart: Mit kleinen Schritten zur Gewohnheit
In seinem Buch „The Biology of Desire“ schreibt der Neurowissenschaftler Marc Lewis:
Neue Nervenbahnen und die damit korrespondierenden Muster des Denkens und Verhaltens beginnen tastend und schwankend, doch nachdem sie wiederholt aktiviert wurden, verwurzeln sich die zunächst zarten Verbindungen tiefer, werden konkreter und sind schließlich wie in Stein gemeißelt – oder wenigstens in Fleisch. Daher neigen Gehirnveränderungen ganz natürlich dazu, sich zu stabilisieren und zu kristallisieren. Und wenn sich neue Veränderungen ergeben, restabilisieren sie sich. Mit einem Gehirn, das sich unberechenbar mit jedem zufälligen Ereignis veränderte, könnten wir nicht viel anfangen. Veränderung und Stabilisierung gehen Hand in Hand. Mit einem Wort: Das ist Lernen. Es ist außerdem ein … wesentlicher Punkt zum Verständnis der Sucht.1
Viele weitere Informationen hierzu finden Sie in dem Artikel „Was ist Sucht?“
Um der Suchtfalle zu entkommen, brauchen wir daher dreierlei:
- Eine Methode, um mit dem eigenen Leben ins Reine zu kommen und die Schuld- und Schamgefühle, die Ängste und die Leere loszuwerden, die uns ins Suchtverhalten getrieben haben.
- Eine Vision von einem besseren Leben, die uns motiviert, die nötigen Schritte zu ihrer Verwirklichung zu tun. In diesem besseren Leben sind unsere Bedürfnisse befriedigt und wir besitzen die Stärke, ohne künstliche Hilfsmittel unsere Gefühle zu regulieren.
- Eine Strategie, um diese Vision umzusetzen. Zwischen Ihrem jetzigen Alltag und dem, den Sie sich wünschen, kann ein großer Unterschied bestehen. Das ist gut, denn hohe Ziele sind gut. Sie motivieren und fordern uns dazu heraus, neue Perspektiven einzunehmen und über uns hinauszuwachsen. Aber der Weg dorthin muss in kleine, im Alltag handhabbare Schritte aufgeteilt sein, um gangbar zu sein. Wer alles auf einmal versucht, wird scheitern und frustriert aufgeben.

Mit anderen Worten heißt dies: Verantwortung übernehmen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Korrekter müsste es heißen: Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Die letzteren beiden sind vertauscht, weil wir zuerst eine Vorstellung von einer gewünschten Zukunft haben müssen, um in der Gegenwart plan- und sinnvoll zu handeln.
Wir übernehmen Verantwortung für unsere Vergangenheit, indem wir der Wahrheit unseres Lebens ins Auge blicken.
Schluss mit dem Davonlaufen. Wir sind nicht für alles verantwortlich, was uns zugestoßen ist – wohl aber für das, was wir daraus machen.
Wer ewig mit unangenehmen Erinnerungen, mit Scham, Schuld und Ängsten aus der Vergangenheit kämpft, findet keine Ruhe und bekommt nie festen Boden unter die Füße. Vom Stress dieses Zustands lebt die Sucht.
Wir übernehmen Verantwortung für die Zukunft, indem wir uns klarmachen, wo wir mit unserem Leben hinwollen.
Attraktive Lebensziele übertragen unsere Motivationsenergie von der Sucht auf einen besseren Inhalt und machen unser alltägliches Streben lustvoll – in scharfem Kontrast zu einer Verbotsregel wie „Ich darf nicht mehr rauchen“, die bloß als Entbehrung, Verzicht und Verlust daherkommt.
(Siehe dazu auch: „Wollen ist besser als nicht wollen: Vermeidungsziele machen krank und unglücklich“.)
Wir übernehmen Verantwortung für die Gegenwart, indem wir Tag für Tag schlechte Gewohnheiten ab- und gute aufbauen.
Welche Gewohnheiten gut und welche schlecht sind, wissen Sie selbst am besten. Die Maßstäbe dafür sind Ihre Vision für die Zukunft, Ihre Intuition und Ihre Bereitschaft, durch beharrliches Ausprobieren herauszufinden, was für Sie funktioniert.
Diese dreiteilige Strategie deckt den langfristigen Aspekt des Vorhabens ab, mit dem Rauchen aufzuhören – die Behandlung und Überwindung der Sucht von ihrer Wurzel her. Zusätzlich müssen Sie sich noch auf die vorübergehende Belastung der Entzugserscheinungen vorbereiten. Bewährte Methoden hierfür finden Sie unter Entzugserscheinungen lindern.
(Mehr zum kurz- und langfristigen Aspekt der Suchtüberwindung erfahren Sie in dem Artikel „Ganz einfach das Rauchen aufgeben – geht das überhaupt?“)
Verantwortung übernehmen für Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart
In der Sucht fixiert sich unsere Aufmerksamkeit auf unser aktuelles Verlangen. Wir haben jetzt ein Bedürfnis und wollen jetzt die passende Befriedigung dafür.
Die Zukunft ist uns in diesem Moment nicht präsent. Bei der Suchtbefriedigung sagen wir uns bewusst oder unbewusst: „pfeif drauf, was morgen ist.“
Die Vergangenheit ist ebenfalls nicht präsent. Im Nebel liegen die Erfahrungen, auf die unsere Ängste, Scham und Schuld, unsere Unruhe und unser Zorn zurückgehen, vor denen wir in die Sucht fliehen.
Da ist etwas, dem wir uns nicht stellen. Deshalb werden wir es nicht los.
Im Allgemeinen sieht man es als etwas Positives an, „im Augenblick“ zu sein, und das zu Recht. Doch wenn Sie sich bei der Suchtbefriedigung von Ihrer Vergangenheit und Zukunft abtrennen, sind es nicht wirklich Sie, der da „im Augenblick“ ist.
Wenn Sie heftig nach einer Zigarette schmachten, Kleingeld zusammensuchen und durch die Kälte zum Kiosk pilgern, nur ans Rauchen denkend – würden Sie sagen, dass es Ihre ganze Person ist, die sich dem Augenblick hingibt, so wie bei tiefer Meditation, konzentrierter Arbeit oder leidenschaftlichem Sex?
Eher nicht. Vielmehr ist ein kleiner Teil Ihrer Persönlichkeit am Ruder, Ihre Sucht-Persönlichkeit, während andere Teile gegen dieses Verhalten protestieren oder einfach ausgeklammert sind. Es ist keine facettenreiche Person in ihrer ganzen Tiefe, die hier handelt, sondern das eindimensionale Bedürfnisbündel der Sucht.
Die Überwindung der Sucht bedeutet den Ausbruch aus dieser Eindimensionalität. Sie bedeutet, wieder ein Gefühl für die Tiefe und das Wunder unseres Daseins als Menschen zu entwickeln. Damit entdecken wir auch unsere Verantwortung, unser Leben nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Die Sucht zu überwinden bedeutet, unserem Dasein die Vergangenheit und Zukunft zurückzugeben, um auf dieser Grundlage ganz in der Gegenwart anzukommen.
Das oben erwähnte Buch „The Biology of Desire“ stellt einige Fallgeschichten von ehemaligen Süchtigen aus zwei Perspektiven dar. Zum einen beschreibt es, was beim Schmachten und beim Drogenkonsum in ihren Gehirnen passiert.
Zum anderen bettet der Autor dieses neurophysiologische Geschehen in die Lebensgeschichten der vorgestellten Personen ein. Er zeichnet nach, welche seelische Not sie in die Sucht trieb und wie sie schließlich darüber hinauswuchsen, indem in ihnen der Wille und die Fähigkeit reifte, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen.
Der Schlüssel hierfür ist das Gefühl für die zeitliche Tiefe der eigenen Lebensgeschichte, das ich eben beschrieben habe.
Süchtige erleben etwas Atemberaubendes, wenn sie die Fähigkeit erlangen, ihre Vision von sich selbst über die unmittelbare Gegenwart hinaus auf die Vergangenheit auszudehnen, die sie geformt hat, und vorwärts in eine Zukunft, die erreichbar ist und Befriedigung verspricht. Es ist wie ein Umschalten von kurzen Klecksen des Erlebens zur zusammenhängenden Erfahrung seiner selbst als einer ganzen Person. Es fühlt sich an, als wäre man plötzlich Autor und Fürsprecher des eigenen Lebens. Es ist das Gefühl, real zu sein.
Jetzt stellen Sie sich vor, was das für die Fähigkeit bedeutet, dem eigenen Urteil zu vertrauen, den eigenen Werten, Instinkten und Erfolgen. Statt Entscheidungen zu treffen, die offenkundig selbstzerstörerisch sind, entscheiden Sie nun in einer Weise, die der Selbstentfaltung und ‑erhaltung dient. Der Wert dieser Verwandlung kann kaum genug betont werden. Süchtige können Jahre verbringen, ohne das kleinste bisschen Selbstvertrauen zu erleben. Warum sollten Sie daran glauben, dass Sie sich ändern können, wenn alle Beweise zeigen, dass Sie sowieso immer weitermachen wie bisher? Warum glauben, dass Sie auch nach dem Guten streben können, statt den bequemen Weg zu wählen, wenn Sie schon tausend Mal an dieser Ausfahrt vorbeigerauscht sind?
Das Empfinden einer Kontinuität zwischen dem Ich jetzt, früher und in der Zukunft ist kostbar. Doch wenn es schon eine Weile fehlt, vielleicht sogar schon immer, ist es nicht leicht zur Hand. Es verlangt nach einer Perspektive, die sich nur einnehmen lässt, indem man sich vor dem Hintergrund der Vergangenheit der Zukunft zuwendet.2
Meist sind es individuelle Lebensereignisse in Verbindung mit persönlicher Reifung, die irgendwann den Ausschlag dafür geben, dass ein Mensch den Willen und die Fähigkeit entwickelt, diese Perspektive einzunehmen.
Doch man kann auch gezielt daran arbeiten und dadurch die persönliche Reifung beschleunigen. Eine mächtige Methode dafür ist das Schreiben.
Selbstheilung durch Schreiben
Seit etwa den 1980er Jahren zeigt ein wachsender Bestand wissenschaftlicher Studien, dass das Schreiben über die eigenen Erfahrungen heilsam wirkt. Für den deutschsprachigen Raum hat vor allem die Ärztin und Professorin Silke Heimes dieses Wissen verfügbar gemacht. In ihrem Buch „Warum Schreiben hilft: Die Wirksamkeitsnachweise zur Poesietherapie“ gibt sie einen umfassenden Überblick der englischsprachigen Forschungsliteratur für ein Fachpublikum.
Daneben hat Heimes eine ganze Reihe von Bänden für die breitere Öffentlichkeit verfasst, darunter „Schreib es dir von der Seele: Kreatives Schreiben leicht gemacht“. Viele weitere Autoren haben Bücher veröffentlicht, die sich mit der positiven Wirkung des Schreibens beschäftigen und entsprechende Techniken vorstellen. Empfehlenswert ist auch der Band „Die heilende Kraft des Schreibens“ von Brigitte Schulte, Barbara Schulte-Steinecke und Lutz von Werder, der zahlreiche Übungsaufgaben enthält.
Das Schreiben ist ein Katalysator der Selbstverständigung und Selbsterkenntnis. Wenn wir eine Erinnerung aufschreiben, fassen wir sie in Worte. Dadurch bekommt sie schärfere Konturen und wird greifbar. Wir können sie nun drehen und wenden, von allen Seiten betrachten und zu anderen Erinnerungen, Ideen, Gedanken und Gefühlen in Beziehung setzen.
Indem wir Erlebtes aufschreiben, können wir es besser einordnen, und das heißt zweierlei: damit abschließen und daraus lernen. Wir werden ruhiger, weiser und stärker.
Soweit wir die eigene Vergangenheit nicht verstehen, wissen wir nicht, wer wir sind. Wenn wir mit aufwühlenden Erfahrungen nicht abschließen, bleiben wir immer aufgewühlt, ohne zu wissen, warum. Wenn wir aus Erfahrungen nicht lernen, sind wir dazu verdammt, unsere Fehler zu wiederholen. All das äußert sich für uns täglich in Angst und Stress.
Mit den Worten des Psychologen und Bestsellerautors Jordan B. Peterson:
Ihr Körper reagiert auf alle unerledigten Aspekte Ihrer Vergangenheit so, als ob Sie von gefährlichen Feinden umringt wären. Sie können selbst feststellen, wieweit Sie sich in dieser Situation befinden. Wenn Sie Erinnerungen haben, die älter als etwa 18 Monate sind und immer noch negative Gefühle hervorrufen, sind Sie in feindlichem Gebiet. Etwa 18 Monate ist die Faustregel.
Da fällt Ihnen also etwas ein, vielleicht ein Gedanke, der Sie verfolgt. Sie denken darüber nach und er macht sie unglücklich oder bringt Sie zum Weinen. Das bedeutet, dass ein Teil von Ihnen dort gefangen ist. Etwas ist nicht erledigt. Sie sind nicht auf morgen vorbereitet. Denn was Ihr Gehirn denkt, ist: Ihnen ist diese böse Geschichte passiert. Wissen Sie, warum? Wenn Sie es nicht wissen, sagen die Systeme in Ihrem Gehirn, die für Angst zuständig sind: Dann wird es wahrscheinlich wieder passieren. Seien Sie also auf der Hut. Wenn Sie nun 20 solche Erinnerungen haben, sind sie aus 20 Gründen in Alarmbereitschaft. …
Wenn Sie sich permanent in dieser Situation befinden, bewirken Sie damit nichts, außer dass Sie alt werden. Sie machen sich alt. Sie erhöhen Ihr Risiko, Krebs zu bekommen, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, Diabetes, Übergewicht, Alzheimer – all diese Krankheiten des körperlichen Verfalls. Das ist kein Spaß. Je mehr unerledigte Dinge in Ihrer Vergangenheit lauern, desto mehr stehen Sie chronisch unter Stress und desto schneller werden Sie alt.3

Das Schreiben macht innere Vorgänge bewusst(er) und versetzt uns damit in die Lage, auch bewusst(er) auf sie zu reagieren. Das leistet es unter anderem dadurch, dass es Gedanken fixiert.
Text ist ein Werkzeug des Nachdenkens. Wie man mit einem Fernglas weiter sehen kann, so kann man mit einem Text weiter denken. Wichtige Gedanken sind oft länger und komplizierter als das, was unser Arbeitsgedächtnis gleichzeitig jonglieren kann. Das Schreiben hebt diese Einschränkung auf, da es Gedanken beliebigen Umfangs fixiert. Es vervielfältigt unsere Möglichkeiten, Gedanken miteinander zu konfrontieren und aus diesem Aufeinandertreffen Funken der Erkenntnis zu schlagen.
Diese erweiterten Möglichkeiten der Selbsterkenntnis sind nicht nur nützlich, um unsere Vergangenheit zu ordnen, sondern auch, um uns Ziele zu setzen und sie zu erreichen.
Im Normalfall wissen wir vage, wo wir mit unserem Leben hin wollen. Aber „vage“ ist nicht genug. Vage Ziele lassen sich nicht in konkrete Handlungen übersetzen, vage Ziele können mangels kritischen Bewusstseins leicht zu niedrig oder zu hoch sein oder einander widersprechen.
Ziele niederzuschreiben schafft Klarheit und Verbindlichkeit.
Aufarbeiten, planen und Gewohnheiten bilden
Es folgt ein dreiteiliger Ratgeber mit bewährten und wissenschaftlich fundierten Tipps und Methoden, um
- Wunden der Vergangenheit zu heilen,
- Ziele für die Zukunft zu setzen und
- Schritt für Schritt Ihre Gewohnheiten entsprechend zu verändern.
Den Anfang bildet die Auseinandersetzung mit Ihrer Vergangenheit, um Ängste, Scham, Schuld und innere Konflikte hinter sich zu lassen und die Wertschätzung für Ihr eigenes Leben zu stärken.
Darauf folgt die Formulierung einer positiven und einer negativen Vision für Ihre Zukunft. Wie wird Ihr Leben in einem, in drei und in fünf Jahren aussehen, wenn Sie alles erreichen, was Sie erreichen wollen? Wie wird es demgegenüber aussehen, wenn Sie es nicht in die Hand nehmen und Ihre schlechten Gewohnheiten das Ruder übernehmen lassen?
Zusammen schaffen die positive und die negative Vision ein stärkeres Bewusstsein davon, dass wir jeden Tag unzählige Male entscheiden, in welche Richtung wir gehen, und bilden einen Anreiz, die richtige Entscheidung zu treffen.
Als Drittes verrät Ihnen dieser Ratgeber, wie Sie durch die Kultivierung von Gewohnheiten jeden Tag ein bisschen mehr Verantwortung übernehmen und Ihr Leben auf einen besseren Kurs zu Glück und Erfolg bringen.
Zunächst aber ein paar Worte zu der Haltung, die Sie sich selbst gegenüber einnehmen sollten, wenn Sie Verantwortung übernehmen und sich verändern wollen. Mit der richtigen Haltung fällt das nämlich sehr viel leichter, während die falsche Ihre Bemühungen erschwert oder zunichte macht.
Sich selbst ein guter Freund sein
Bringen Sie sich selbst im Zuge der Auseinandersetzung mit Ihrem Leben stets Verständnis und Mitgefühl entgegen. Verurteilen Sie sich nicht und vermeiden Sie Selbstvorwürfe.
Wenn Sie der Meinung sind, einen Fehler gemacht zu haben, sehen Sie dem ins Auge und übernehmen Sie die Verantwortung dafür. Versuchen Sie zu verstehen, wie es dazu kam und wie Sie es besser machen können. Quälen Sie sich aber nicht.
Eine verstehende, mitfühlende und nicht anklagende Haltung zu sich selbst ist für Glück und Erfolg im Leben entscheidend.
Stellen Sie sich vor, Sie sprächen nicht mit sich selbst, sondern mit einem geschätzten Freund. Dieser berichtet Ihnen von Ängsten, die ihn plagen, zum Beispiel von einer Angst, seinen Job zu verlieren. Oder er spricht über seine Schwächen und Erfahrungen des Scheiterns. Er hat Schuld auf sich geladen oder fühlt sich für Umstände verantwortlich, die er nicht ändern kann.
Würden Sie zu Ihrem bedrückten Freund sagen: „Tja, du bist halt ein Idiot“, „Du bist ein Schwächling“ oder „Vergiss es, du wirst es nie lernen“? Wohl nicht. Aber genau so reden viele Menschen im Stillen mit sich selbst. In einem Ton, den sie anderen nie zumuten würden.

Don Miguel Ruiz schreibt in seinem wundervollen Büchlein „Die vier Versprechen“:
Der Mensch ist das einzige Tier auf der Welt, das viele tausend Mal für denselben Fehler büßt. Alle anderen Tiere zahlen einmal für jeden Fehler, den sie machen. Doch wir nicht. Wir haben die mächtige Gabe der Erinnerung. Wir machen etwas falsch. Wir sitzen über uns selbst zu Gericht. Wir sprechen uns selbst schuldig und wir bestrafen uns selbst. Wenn Gerechtigkeit existiert, dann sollte das genügen. Es ist nicht nötig, dass wir den ganzen Prozess wiederholen. Doch jedes Mal, wenn wir uns an die betreffende Situation erinnern, richten wir uns wieder selbst, finden uns wieder schuldig und bestrafen uns wieder und wieder und wieder. … In Ihrem ganzen Leben hat Sie nie jemand schlechter behandelt, als Sie sich selbst misshandelt haben.
Gewöhnen Sie sich das ab.
Es besteht ein großer Unterschied zwischen vernünftiger Selbstkritik, die gut und wichtig ist, und Selbstgeißelung, die weder Ihnen noch Ihren Mitmenschen etwas bringt. Vernünftige Selbstkritik zielt darauf, zu verstehen, was passiert ist, und die Verantwortung dafür zu übernehmen, indem man es beim nächsten Mal besser macht – nicht darauf, sich zu bestrafen.
Hören Sie auf, sich zu bestrafen. Es bringt nichts.
Mit strafenden und urteilenden Selbstgesprächen hüllen Sie sich in Negativität und machen sich klein. Sie haben sofort ungleich mehr Energie und Lebensfreude, wenn Sie damit aufhören.
Die Sucht ist unter anderem ein Mittel, um Stress und Angst sowie Schuld- und Schamgefühlen zu entkommen. Deshalb ist Wertschätzung für sich selbst bei der Überwindung der Sucht besonders wichtig. Wenn Sie sich mit Selbstvorwürfen tyrannisieren, verstärken Sie genau diese negativen Gefühle in sich. Dann erscheint die Stimme der Vernunft in Ihnen als Tyrann und die Zigarette als Freund, der Sie in Schutz nimmt.
Das sind schlechte Voraussetzungen.
Seien Sie sich selbst ein Freund und Fürsorger, der für Ihr Wohlergehen verantwortlich ist und diese Verantwortung ernst nimmt.
In folgendem Zitat aus dem Bestseller „In the Realm of Hungry Ghosts“ beschreibt der Arzt Gabor Maté diese Haltung treffend. Den Anfang bildet ein Dialog mit einer kokainabhängigen Patientin.
„Sie sprachen darüber, wie Sie sich selbst hassen und bemitleiden. Was wäre, wenn Sie anstelle Ihrer strengen Urteile eine echte Neugier darauf entwickelten, warum Sie tun, was Sie tun? Was wäre, wenn Sie Drogen nehmen, weil Sie Angst haben, sonst den Schmerz nicht ertragen zu können? Mit Ihren Lebenserfahrungen haben Sie reichlich Grund, sich verletzt zu fühlen. Das hat nichts mit ‚es vermasseln‘ zu tun. Sie haben es anders einfach nicht ausgehalten. Wenn Ihre Tochter die gleichen Erfahrungen hinter sich hätte und bei den Drogen Zuflucht suchte, würden Sie sie genauso hart beurteilen?“
„Nein“, sagt Clarissa. „Ich würde sie lieben. … Ich würde ihr liebevolle Strenge geben.“
„Vergessen Sie die Strenge“, sage ich ihr. „Alles, was sie brauchen würde, ist Ihre Liebe. Genau wie Sie selbst.“
…
Im Geist mitfühlender Neugier gefragt, verwandelt sich das „Warum?“ von einer strengen Anklage in eine offene, sogar wissenschaftliche Frage. Statt sich selbst anklagende Steine an den Kopf zu werfen („Ich bin so dumm; wann werde ich je lernen?“ usw.), kann die Frage „Warum habe ich das jetzt wieder getan, obwohl ich mir der negativen Konsequenzen voll bewusst bin?“ das Thema einer fruchtbaren Selbstbefragung werden, einer sanften Detektivarbeit. Wir ziehen die gestärkte Uniform des Vernehmungsbeamten aus, der anklagen, überführen und bestrafen will, und nehmen stattdessen die Haltung eines mitfühlenden und verständnisvollen Freundes ein, der einfach wissen möchte, was mit uns los ist.
…
Der Zweck ist nicht, zu rechtfertigen oder zu rationalisieren, sondern zu verstehen. Rechtfertigung wäre nur eine andere Form des Urteilens, die genauso herabwürdigend wäre wie ein Verdammen. Wenn wir rechtfertigen, hoffen wir die Gunst des Richters zu gewinnen oder ihn zu täuschen. Rechtfertigungen erlauben es uns, das Selbst von seiner Verantwortung freizusprechen. Das Verstehen hilft uns dagegen, Verantwortung zu übernehmen. Wenn wir uns nicht gegen andere und uns selbst verteidigen müssen, gewinnen wir die Offenheit, die Dinge so zu sehen, wie sie sind. Die Freiheit, meine Sucht anzuerkennen, erlange ich in dem Moment, in dem mein Suchtverhalten nicht mehr bedeutet, dass ich als Person ein Versager bin, keinen Respekt verdiene, ein Mensch ohne Tiefe und wertlos bin. Dann kann ich mich damit konfrontieren und sehen, wie die Sucht mein Leben auf vielen Ebenen sabotiert.4
Selbstanklagen verstärken die Kräfte, die uns in die Sucht ziehen: Stress, Scham- und Schuldgefühle, Ängste – und das Bedürfnis, all diese inneren Plagen zum Schweigen zu bringen. Dies macht es tausendmal schwieriger, auf die bewährte Zuflucht, auf den bewährten Trost des Suchtverhaltens zu verzichten.
Stellen Sie sich also mit der Haltung verständnisvoller Neugier Ihrer Geschichte und Ihren Gefühlen.
Jede Erfahrung, die Sie durcharbeiten, ist ein weiteres Puzzlestück des Gesamtbildes. Je vollständiger das Bild wird, desto besser kennen Sie sich selbst, desto mehr können Sie sich selbst vertrauen, desto weniger sind Sie auf der Flucht und desto weniger beeinträchtigen Konflikte früherer Lebensphasen Ihre Gegenwart.
Verantwortung übernehmen für die Vergangenheit: Therapeutisches Schreiben
Um die Heilkraft des Schreibens für sich zu nutzen, schreiben Sie Erinnerungen auf, die Sie emotional berühren. Das Ziel ist, sich bewusst zu machen und zu verstehen, was geschehen ist – äußerlich und innerlich. Hinterher ist die Erinnerung klarer und weniger beunruhigend. Das Ereignis hat seinen Platz in Ihrer Lebensgeschichte gefunden. Sie können sich umso konfliktfreier zu dieser bekennen, je mehr Sie auf diese Weise Frieden mit Ihren Erinnerungen geschlossen haben.
Studien deuten darauf hin, dass die positive Wirkung auf Zufriedenheit und Gesundheit umso größer ist, je mehr der Schreiber sich dem Geschehen mit einer verstehenden Haltung genähert hat.5 Gefühle spielen dabei eine wichtige Rolle, aber es geht nicht darum, Gefühle „abzuladen“, sondern zugleich um ein einordnendes Verstehen. Vermeiden Sie es, sich mehr als nötig in negative Gefühle hineinzusteigern.

Über die eigene Vergangenheit zu schreiben ist für die meisten Menschen ungewohnt und nicht ganz einfach. Um es Ihnen zu erleichtern, gebe ich Ihnen hier ein paar Tipps, wie Sie möglichst zügig und schmerzfrei in Fahrt kommen.
Legen Sie vorab einen Zeitrahmen für Ihre Schreibsitzung fest. Ohne Zeitrahmen passiert es leicht, dass wir nach ein paar Minuten ungeduldig werden, wenn uns nichts einfällt, und meinen, die Übung bringe nichts. Wahrscheinlich fangen die Ideen und Erinnerungen nicht sofort an, zu sprudeln. Setzen Sie sich daher einen Zeitrahmen, den Sie der Beschäftigung mit Ihrer Vergangenheit widmen, etwa eine halbe Stunde oder eine Stunde. Und:
Setzen Sie sich nicht unter Druck. Lösen Sie sich von der Erwartung, bestimmte Ergebnisse zu erzielen – sei es eine bestimmte Menge Text zu schreiben, eine Kindheitsepisode vollständig durchzuarbeiten oder sich nach der Sitzung „besser“ zu fühlen.
Richten Sie die Aufmerksamkeit auf Ihre Vergangenheit und nehmen Sie eine Haltung des Interesses und der Offenheit ein. Erlauben Sie sich, zu tagträumen, zu assoziieren und zu fühlen.
Dabei hilft Ihnen der vorher gesetzte Zeitrahmen. Sie haben Ihre Aufgabe erfolgreich erledigt, wenn Sie eine halbe Stunde oder Stunde damit verbracht haben – unabhängig von konkreten Ergebnissen.
Verkleinern Sie den Zeitrahmen, wenn nötig. Mit dieser Übung ist es ähnlich wie beim Sport: Man muss sich ein bisschen dazu überwinden und gegen die innere Stimme der Bequemlichkeit durchsetzen. Anschließend aber ist man immer froh und nie unglücklich darüber, sich sportlich betätigt zu haben.
Beginnen Sie notfalls mit einer Sitzung von fünf Minuten, meinetwegen auch drei Minuten. Damit werden Sie nicht allzu weit kommen, aber Sie haben die Tür aufgestoßen. Das ist oftmals der schwerste Teil. Nun können Sie die Dauer jederzeit erhöhen.
Sie haben sich also etwas Zeit genommen und sind bereit zum Schreiben. Wie finden Sie nun ein geeignetes Thema?
Ihre Gefühle und Intuitionen werden Sie in die richtige Richtung führen, wenn Sie in sich hineinhören.
Achten Sie vor allem auf unangenehme und auffällige Gefühle. Sie sind ein Hinweis darauf, dass etwas nicht erledigt ist und Sie belastet.
Überfliegen Sie in der Vorstellung Ihre Kindheit, Ihre Jugend und Ihr Erwachsenenalter, Ihre Erfahrungen mit Eltern, Schule, Ausbildung und Beruf, um Erlebnisse herauszupicken, die in diesem Sinn unerledigt sind. Beschäftigen Sie sich damit. Erwarten Sie nicht, dass Konflikte nach einer Schreibsitzung komplett erledigt sind – ganz so einfach ist es nicht. Aber jede Sitzung gibt Ihnen ein Stück mehr Frieden und Stärke.
Auch aus der Gegenwart kommen wertvolle Anregungen für die Themenwahl. Vielleicht werden Sie bei einer eigentlich belanglosen Begegnung mit Ihrem Chef unverhältnismäßig wütend, Ihr Partner macht Sie mit einer beiläufigen Äußerung traurig oder Sie haben eine auffällig große Angst vor einem unangenehmen Gespräch.
Lassen Sie diese Gefühle zu, begegnen Sie ihnen mit gelassener Neugier und forschen Sie in Ruhe nach, warum Sie in der betreffenden Situation so reagieren.
Was steckt dahinter? Welche äußeren Umstände haben Sie beeinflusst? Wovor laufen Sie davon, was bekämpfen Sie? Was beunruhigt Sie? Empfinden Sie Ihre Reaktion als angemessen oder wurden Sie an einem wunden Punkt erwischt? Wie würden Sie diesen Punkt beschreiben? Wissen Sie, woher er kommt? Haben Sie eine Idee, wie er heilen könnte? Woran erinnert Sie die Situation?
Schreiben Sie die Antworten auf. Setzen Sie sich auch hier nicht mit Ergebniserwartungen unter Druck und urteilen Sie nicht. Schicken Sie den inneren Kritiker vor die Tür. Der Anspruch ist nicht, hohe Literatur zu produzieren oder sich mit dem entstehenden Text als moralisches Vorbild zu empfehlen.
Es geht einzig und allein darum, Ordnung in Ihrem Geist und Ihren Emotionen zu schaffen. Alles, was Sie denken, fühlen und aufschreiben, ist privat. Nichts, was Ihnen einfällt, ist „blöd“ oder „peinlich“. Solche Urteile sind uninteressant und egal.
Verantwortung übernehmen für die Zukunft: Ziele setzen
Schreiben Sie vor dem Absprung in die Suchtfreiheit eine Vision des Lebens nieder, das Sie sich wünschen und verwirklichen wollen. Diese Vision bildet das Ziel, das Ihr Handeln motiviert und das falsche, aber mächtige Ziel der Suchtbefriedigung ersetzt.
Ihre Vision muss so attraktiv sein, dass sie Ihnen spürbar Lust darauf macht, sich ihr anzunähern und die Früchte zu ernten. Gleichzeitig muss sie realistisch sein. Es können gerne hohe und ambitionierte Ziele sein – aber Sie müssen daran glauben, dass eine reale Chance besteht, sie zu erreichen.
Wo wollen Sie also hin mit Ihrem Leben? Wo können Sie in einem Jahr sein, wenn Sie alles realistisch in Ihrer Macht stehende tun, um das Leben nach Ihren Vorstellungen zu gestalten?
Wo in drei Jahren?
Wo in fünf Jahren?

Schreiben Sie auf, wie Ihr Leben in einem Jahr, in drei und in fünf Jahren aussieht, wenn Sie es in die Hand nehmen und dran bleiben.
Für die meisten Menschen ist es wahrscheinlich sinnvoll, bei der Ausgestaltung der Vision folgende Aspekte etwa abzudecken:
- Freundschaften
- Beruf
- Gesundheit und Fitness
- Liebes- und Familienleben
- Freizeit
- Wohnung
Das ist nur ein Vorschlag – Sie können einige dieser Kategorien weglassen oder anders nennen, weitere hinzufügen oder auch ganz auf Kategorien verzichten. Wichtig ist, dass ein aussagekräftiges Bild Ihres besseren Lebens entsteht.
Schreiben Sie in der Gegenwartsform und im Indikativ: Nicht „ich würde gerne“ und „ich hätte gerne“, sondern „ich habe“ und „ich bin“. Beispiel: Sie wollen in fünf Jahren in einem Haus auf dem Land leben. Sie schreiben also: „Ich lebe in einem Haus auf dem Land“.
Doch wir hätten es gern ein bisschen genauer. Gehen Sie ins Detail. Wie sieht das Haus aus, wo steht es, mit wem leben Sie dort, wer besucht Sie dort, wer wohnt nebenan?
Schreiben nicht nur allgemein „Ich habe mehr Freunde“ oder „Ich habe eine schönere Wohnung“. Was für Menschen sind diese Freunde, was unternehmen Sie zusammen, worüber sprechen Sie, wo lernen Sie sich kennen? Wie sieht die schönere Wohnung aus, wo liegt sie, wie ist sie eingerichtet, gibt es eine Einweihungsparty?
Details sind wichtig, damit die Vision ein Vorstellungsbild ergibt, das greifbar und attraktiv ist. Je genauer und facettenreicher die Vision ist, desto mehr verwandeln sich Wünsche in Ziele.
Der Unterschied: Ziele wirken auf Ihr Handeln im Jetzt und Hier zurück, bloße Wünsche nicht. Für das Erreichen Ihrer Ziele übernehmen Sie die Verantwortung, ebenso wie für ein Scheitern. Auf bloße Wünsche trifft dies nicht zu.
Sie können die motivierende Kraft Ihrer Vision verstärken, indem Sie sie regelmäßig visualisieren. Die besten Zeiten dafür sind direkt vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen.
Schließen Sie die Augen und formen Sie ein Bild von sich selbst in der besseren Zukunft, die Sie geschaffen haben. Gestalten Sie dieses Bild attraktiv, sogar strahlend. Erwecken Sie es zum Leben.

Es kommt nicht darauf an, ob sich die Vision genau so verwirklichen wird. Das Leben ist nie ganz berechenbar, und während Sie neue Erfahrungen machen und dazulernen, sich weiterentwickeln und verändern, tun dies automatisch auch Ihre Wünsche und Ziele.
Das ist völlig in Ordnung. Aktualisieren Sie die Vision entsprechend und setzen Sie Ihren Weg fort.
Rechnen Sie außerdem damit, dass Ihre Vision und Ihr Umsetzungsplan am Anfang nicht perfekt sind. Die Suche nach dem perfekten Plan verführt leicht dazu, vor lauter Grübeln und Planen immer wieder das Handeln aufzuschieben, so dass wir uns schließlich nie auf den Weg begeben.
Übertriebener Perfektionismus ist keine Hilfe. Mut zur Lücke, Mut zum Unperfekten, die Bereitschaft, etwas zu wagen, ohne genau zu wissen, wohin es führt – das gehört in jedem Fall dazu, wenn Sie neue Wege beschreiten wollen.
Ein negatives Gegenbild Ihrer Vision
Indem Sie ein negatives Gegenbild zu Ihrer Vision formulieren, leisten Sie einen weiteren Beitrag zu deren motivierender Kraft. Wie sieht Ihr Leben in einem Jahr, in drei und in fünf Jahren aus, wenn Sie es nicht in die Hand nehmen und sich von Ihren schlechten Gewohnheiten leiten lassen?
Decken Sie jeweils dieselben Lebensbereiche ab, die auch in der positiven Vision vorkommen; Familie, Beruf, Gesundheit und so weiter.
Es geht bei dieser Übung nicht darum, sich Katastrophen vorzustellen, die Sie nicht beeinflussen können. Die Frage ist vielmehr, welche Folgen es für Ihr Leben hat, wenn Sie Dinge nicht tun, von denen Sie wissen, dass Sie sie tun sollten und könnten, und umgekehrt (schlechte) Dinge tun, von denen Sie wissen, dass Sie sie lassen sollten und könnten.
Denn das ist dann auch Bestandteil der negativen Vision: Zu wissen, dass Sie sich Ihr Scheitern selbst zuzuschreiben haben. Dass es nicht nötig gewesen wäre.
Diese beiden Bilder, das positive und das negative, erzeugen eine Motivation, Ihr Leben ernst zu nehmen, und zwar jeden Tag, jede Stunde, jede Minute.
Jede einzelne Entscheidung, jede noch so winzige Handlung führt entweder in die eine oder die andere Richtung – zum Ziel oder zum Scheitern.

Daraus können Sie viel Kraft schöpfen, weil der Kontrast zwischen den Bildern Ihnen vor Augen führt, dass es an Ihnen liegt. Sie bestimmen und sind jede Minute dafür verantwortlich, wie sich Ihr Leben entwickelt.
Ihre Vision beinhaltet also jeweils ein positives und ein negatives Bild Ihres Lebens in einem, in drei und in fünf Jahren. Damit daraus reale Veränderungen zum Besseren werden, müssen Sie die Vision mit der unmittelbaren Gegenwart verknüpfen, und zwar so, dass Ihre Handlungen hier und heute auf die Vision ausgerichtet sind und Sie jeden Tag auf vielfältige Weise an ihrer Verwirklichung arbeiten.
Wie unter „Was ist Sucht?“ beschrieben, strahlen Ziele auf die Aktivitäten aus, die wir unternehmen, um Sie zu erreichen. Ihr Leben wird daher sofort befriedigender und erfüllter, wenn Sie dieser Methode folgen – nicht erst in einem, drei oder fünf Jahren.
Verantwortung übernehmen für die Gegenwart: Mit kleinen Schritten zur Gewohnheit
Stellen Sie sich vor, was Sie in fünf Jahren erreichen können, wenn Sie ernsthaft die nötigen Schritte dazu unternehmen – sei es, eine Sprache zu lernen, neue Freundschaften zu schließen, eine Familie zu gründen oder zu versöhnen, sich beruflich zu verändern oder auf Weltreise zu gehen.
Ein Rechenbeispiel.
Wenn Sie eine halbe Stunde pro Tag in Ihr Ziel investieren, sind das 182,5 Stunden im Jahr. Dies summiert sich auf 912,5 Stunden in fünf Jahren. Das wiederum entspricht knapp 123 vollen 8‑Stunden-Arbeitstagen oder einem halben Jahr Vollzeitarbeit ohne Urlaub.
Sie können also innerhalb von fünf Jahren ohne Weiteres ein halbes Jahr Vollzeitarbeit in Ihre Vision investieren. Was könnten Sie mit so viel Zeit alles auf die Beine stellen?
Wenn Sie den Einsatz verdoppeln und eine volle Stunde pro Tag investieren, summiert sich die Zeit auf ein Jahr Vollzeitarbeit, die Ihnen in fünf Jahren zur Verfügung steht.
Ein Jahr Vollzeit, um die beste Version von sich selbst zu werden, die Sie sich vorstellen können.
Indem Sie über mehrere Jahre eine halbe oder volle Stunde am Tag investieren, erreichen Sie sogar viel mehr, als wenn Sie sich ein halbes oder ganzes Jahr frei nähmen. Durch die Regelmäßigkeit und den längeren Zeitraum können Sie viel mehr lernen und größere Veränderungen erreichen, als wenn Sie die Zeit kurzfristig und gebündelt aufbrächten.
Aber der Pfad zum besseren Leben besteht nicht nur in einem kleinen Zeitpensum, das Sie sich irgendwo freischaufeln. Er besteht in vielen kleinen Entscheidungen und Weichenstellungen, die sich zu großen Veränderungen summieren.
Viele davon kosten überhaupt keine zusätzliche Zeit, und je weiter Sie kommen, desto mehr gewinnen Sie an sinnvoll und befriedigend gelebter Zeit hinzu.
Wir haben unendlich viele Möglichkeiten, durch solche kleinen Veränderungen in besseren Einklang mit unserem Leben zu gelangen und dadurch stärker zu werden.
Jordan Peterson schlägt hierfür eine genial einfache Strategie vor. Der Ausgangspunkt ist, dass wir in vielen Punkten bereits wissen,
- was wir tun sollten, aber nicht tun und
- was wir tun, aber besser lassen sollten.
Das sind natürlich für verschiedene Menschen jeweils andere Dinge, wobei manche Probleme häufiger vorkommen als andere. Viele von uns prokrastinieren oder sind nicht ganz ehrlich. Wir bewegen uns zu wenig. Wir schlafen zu lange. Wir ernähren uns nicht gesund. Wir vernachlässigen unseren Haushalt. Wir geben zu viel Geld aus. Wir lästern. Wir geben gefasste Vorsätze wieder auf und so weiter.
Lassen wir also die Dinge sein, von denen wir wissen, dass sie falsch sind, und tun mehr Dinge, von denen wir wissen, dass sie richtig sind. Übernehmen wir Verantwortung.
Kleine Schritte als großer Hebel
Leicht gesagt? Stimmt. Es erinnert an die guten Vorsätze zum Neujahr, die wir nach wenigen Tagen oder Wochen wieder aufgeben und bald darauf vergessen haben.
Die Umsetzung der Neujahrsvorsätze scheitert meist daran, dass wir uns zu viel auf einmal vornehmen. Der Schlüssel, um wirklich unser Leben zu verändern und nicht nur davon zu träumen, besteht darin, es in kleinen Schritten zu tun, die uns nicht überfordern.
Sie haben Aufgaben im Haushalt, die Sie schon ewig vor sich herschieben? Widmen Sie diesen Dingen für den Anfang fünf oder zehn Minuten am Tag.
Sie würden gerne um sechs Uhr aufstehen, um mehr Zeit zu haben? Stellen Sie den Wecker um Viertel nach sieben, halten Sie dies zwei Wochen durch und stellen Sie dann auf Punkt sieben um und so weiter. Finden Sie während der Umstellung durch Ausprobieren eine Morgenroutine, mit der Sie am besten aus dem Bett kommen.
Sie wollen wieder regelmäßig eine Zeitung oder Bücher lesen? Reservieren Sie dafür zunächst 15 Minuten am Tag.
Diese Strategie der kleinen Entscheidungen ist ein mächtiger Hebel, um mittel- und langfristig Großes zu erreichen.
Erstens senkt sie die Hemmschwelle so weit, dass Sie das Vorhaben ohne große Anstrengung umsetzen können. Sie können sofort anfangen. Auch die Ausrede „Ich habe keine Zeit“ zählt nicht mehr. Es geht um Ihre Lebensqualität und Sie können keine 15 Minuten am Tag aufbringen? Das glauben Sie doch selbst nicht.
Zweitens lassen sich solche kleinen Verhaltensänderungen schnell auf Regelmäßigkeit stellen. Dadurch wird innerhalb kurzer Zeit eine Gewohnheit daraus. Und wenn es einmal eine Gewohnheit ist, kostet es Sie bald praktisch gar keine Energie und Aufmerksamkeit mehr. Sie haben sich verändert und sind im Licht Ihrer eigenen Vision nun ein besserer Mensch. Sie können Energie und Aufmerksamkeit auf die nächste kleine Veränderung richten.
Drittens summieren sich die Veränderungen nicht nur, was auch schon viel bewirken würde, sondern multiplizieren sich sogar. Hier liegt der eigentliche Zauber dieses Vorgehens.
Verbesserungen, die sich summieren und multiplizieren
Jede kleine Verbesserung in Ihrem Leben führt dazu, dass Sie ein Stückchen zufriedener mit sich sind. Dadurch sind Sie weniger gestresst und haben mehr Selbstbewusstsein und ‑vertrauen. Dies wiederum schafft die Voraussetzungen, um auch größere Herausforderungen zu meistern.
Sitzen Sie nicht dem Irrtum auf, kleine Verbesserungen im Alltag seien „zu klein“, um etwas zu bringen. Jede noch so winzige Veränderung Ihrer Routinen kann zu einem Schneeballeffekt beitragen oder selbst einen auslösen. Außerdem: Wer nie im Kleinen Verantwortung übernimmt, der dringt nie zu größeren Aufgaben vor.
In der Psychologie ist das Konzept der „Selbstwirksamkeitserwartungen“ oder abgekürzt „Selbstwirksamkeit“ geläufig. Dieses bezieht sich auf die Erwartung eines Menschen, seine Pläne umsetzen und seine Ziele erreichen zu können. Dabei ist zweierlei wichtig für die Praxis:
- Selbstwirksamkeitserwartungen sind ein wichtiger Faktor für unsere Erfolgschancen. Wer glaubt, es schaffen zu können, hat deutlich größere Chancen, es wirklich zu schaffen.
- Die wichtigste Quelle unserer Selbstwirksamkeitserwartungen sind bisherige Erfolge. Je mehr und öfter wir erleben, dass wir kompetent sind, umso mehr glauben wir an unsere Kompetenz.6
Der Weg zum großen Erfolg beginnt mit kleinen Erfolgen. Ihre Ergebnisse summieren sich und geben uns den nötigen Schwung, um mit Elan und Optimismus die nächste Aufgabe anzugehen.

In meinem eigenen Leben war es zum Beispiel der Abwasch, der einen Schneeballeffekt auslöste. Ich war mein Leben lang ein Chaot, was den Haushalt betraf. Nachdem ich vor bald zwei Jahren begann, mit der hier beschriebenen Strategie mein Leben zu ordnen, habe ich meinen Haushalt besser in den Griff bekommen als je zuvor, ohne dass er mir Mühe machen würde. Im Gegenteil, ich fühle mich entlastet, weil Chaos anstrengend ist.
Diese Veränderung begann mit einer simplen Entscheidung. Nach dem Aufstehen morgens kochte ich mir immer zuerst einen Kaffee. Während des Wartens auf den Kaffee hatte ich ein paar Minuten Leerlauf. Ich entschied also, diese Minuten für den Abwasch zu nutzen.
Es klappte hervorragend. Zum ersten Mal in meinem Leben wusch ich täglich ab. Geschirrberge auf der Spüle gehörten der Vergangenheit an. Bald wurde mir dieser Abwasch zur Gewohnheit und ich brauchte keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden.
Doch es geschah noch viel mehr. Zunächst dehnte sich das Prinzip auf den Rest des Tages aus, so dass ich auch Wartezeiten beim Kochen für den Abwasch nutzte. Da es nicht immer etwas abzuwaschen gab, erledigte ich während des Wartens andere Aufgaben in der Küche. Dann übertrug sich der Ansatz auf den Haushalt im Ganzen, in kleinen zeitlichen Leerläufen etwas aufzuräumen, eine Fläche abzuwischen, den Müll rauszubringen oder sonst etwas Sinnvolles zu erledigen.
Ich gewöhnte mich an ein höheres Niveau an Ordnung und entwickelte dadurch das Bedürfnis, aufzuräumen, wenn es unordentlich war. Meine neue Gewohnheit verselbständigte sich also gegenüber den kleinen Leerläufen, mit denen sie begonnen hatte.
Während mein Haushalt ordentlicher und gepflegter wurde, fiel mir stärker auf, dass einige Möbel immer noch Provisorien waren und mir nicht so gut gefielen. Ich schaffte mir neue Möbel an und brachte dadurch erheblich mehr Ordnung und Ästhetik in meine Wohnung.
Früher hatte sich das Geschirr bei mir regelmäßig so lange gestapelt, bis ich in einer mühsamen Hauruck-Aktion den Berg abarbeitete. Das gleiche traf auf den Haushalt im Ganzen zu: Immer breitete sich Chaos aus, bis ich ein Wochenende für eine große, anstrengende Aufräum- und Putzaktion reservierte.
Das ist vorbei. Ich habe die Gewohnheit kultiviert, mich im Alltag nebenher um den Haushalt zu kümmern. Ich muss nur ein Minimum an Willenskraft darin investieren und habe ein viel besseres Ergebnis, was Ordnung und Wohnästhetik betrifft. Ich begegne auch anderen Menschen und dem Leben selbst mit einem anderen Selbstbewusstsein, da ich nicht mehr das Gefühl habe, die Räume verstecken zu müssen, in denen ich lebe. Man kann sich ausmalen, was dies auf lange Sicht alles bewirkt.
Bei Ihnen ist es vielleicht etwas ganz anderes als der Haushalt.
Der Punkt ist: Unterschätzen Sie nicht die Hebelwirkung, die Sie durch kleine Veränderungen entfalten können. Und unterschätzen Sie nicht die persönliche Stärke, die es Ihnen verschafft, mehr im Einklang mit den eigenen Idealen zu leben.
Neues Selbstvertrauen auf fester Basis
Erinnern wir uns an das obige Zitat von Marc Lewis:
„Warum sollten Sie glauben, dass Sie sich ändern können, wenn alle Beweise zeigen, dass Sie sowieso immer weitermachen wie bisher?“
Mit kleinen, aber dauerhaften Veränderungen zum Besseren beweisen Sie sich jeden Tag, dass Sie sich sehr wohl ändern können. Sie fühlen sich stärker und kompetenter. Sie verinnerlichen das Bewusstsein, dass Sie Ihr Leben nicht nur als passives Opfer der Umstände bewältigen, sondern mit Ihren Entscheidungen aktiv gestalten können. Sie übernehmen jeden Tag ein bisschen mehr Verantwortung für Ihr Leben.
Sie beginnen zu ahnen, wie viel ungenutztes Potential in Ihnen steckt, und Sie werden neugierig darauf, wohin es Sie führt, wenn Sie mehr davon verwirklichen. Ihr Glaube an sich selbst wird täglich stärker, die jeweils nächste Veränderung wird leichter und die positiven Wirkungen summieren und multiplizieren sich.
Viele sinnvolle Veränderungen kosten keine zusätzliche Zeit. Oft gewinnen wir sogar Zeit dadurch, zum Beispiel, wenn es darum geht, die ziellose Facebook-Nutzung zu reduzieren.
Doch wenn Sie beispielsweise eine Stunde täglich Sport treiben oder zwei Abende pro Woche ausgehen wollen, um Leute zu treffen, müssen Sie klären, woher Sie die Zeit dafür nehmen. Sie brauchen eine realistische Zeitplanung. Sonst wird daraus nur ein weiterer aufgegebener Vorsatz, der Sie frustriert, schwächt und entmutigt.
Dabei darf auch der Zeitplan kein Instrument sein, mit dem Sie sich selbst tyrannisieren. Wenn Ihr Zeitrahmen ein zu enges Korsett ist, werden Sie dadurch zu Ihrem eigenen Gegner. Ihre Vorsätze über den Haufen zu werfen fühlt sich plötzlich wie Selbstbehauptung an. Dabei ist es das Gegenteil.
Tasten Sie sich also behutsam zu einer Zeitplanung vor, die Ihnen eine Hilfe ist und keine Belastung. Die Sie dabei unterstützt, so zu leben, wie Sie es wollen. Die perfekte Zeitplanung finden Sie in vielen Fällen nur durch beharrliches Ausprobieren.
Eine Strategie der kleinen Schritte füllt die Lücke zwischen der Routine des Weiter-So und den großen Lebensträumen, die wir alle haben. Man kann zwei Arten von Veränderungen im Alltag unterscheiden, die Sie zur Herausbildung neuer Gewohnheiten vornehmen:
Erstens Veränderungen, die in jedem Fall und unabhängig von Ihren konkreten Zielen gut sind: Zeitverschwendungen weglassen (Facebook, Fernsehen, Handyspiele …), gesünder leben (Sport, Ernährung, Schlaf …), ehrlicher sein etc.
Zweitens Veränderungen, die direkt mit den Zielen zu tun haben, die in Ihrer Vision formuliert sind: auf eine Beförderung oder einen Jobwechsel hinarbeiten, persönliche Beziehungen pflegen, die eigenen vier Wände verschönern, Gedichte schreiben und an Verlage schicken … fragen Sie sich, was Sie heute tun können und müssen, um in einem Jahr, in drei und in fünf Jahren Ihre Ziele zu erreichen.
So werden immer größere Teile des Alltags zu Mosaiksteinen der Verwirklichung Ihrer Ziele.
Dies unterstützt Ihr stärker werdendes Empfinden jeder Minute Ihres Lebens als wertvoll. Wir gewöhnen uns leicht daran, wegzusehen, abzutauchen und uns zu betäuben, statt die Verantwortung dafür zu übernehmen, ob wir ein gutes Leben führen oder nicht. Jetzt geht es darum, sich diese Verantwortung (wieder) anzugewöhnen.
Was noch fehlt, ist eine Technik für den Umgang mit Entzugserscheinungen und den starken Impulsen der tief verwurzelten Gewohnheit des Rauchens in den ersten Tagen und Wochen nach der letzten Zigarette. Die gute alte Methode Willenskraft funktioniert für die meisten Menschen nicht. Das ist kein Wunder, da wir gegen uns selbst arbeiten, wenn wir unsere Gefühle, Gedanken und Impulse im Nikotinentzug bekämpfen.
Deshalb finden Sie in dem Artikel „Entzugserscheinungen lindern“ eine Anleitung, um die Zwangsgedanken rund ums Rauchen abzubauen und das aufreibende Kämpfen gegen sich selbst überflüssig zu machen, indem Sie lernen, die Entzugssymptome gelassen hinzunehmen und sogar für Ihr persönliches Wachstum zu nutzen.